Kulturen des Verdrängens und Erinnerns. Perspektiven auf die rassistische Gewalt in Rostock-Lichtenhagen 1992
Vom 22. bis 26. August 1992 erlebte der Rostocker Stadtteil Lichtenhagen einen der schwersten rassistischen Gewaltausbrüche in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Das markante Sonnenblumenhaus wurde zum Symbol für die Rückkehr rechter Gewalt im gerade wiedervereinigten Deutschland. Diese Ausschreitungen waren Teil einer Welle rechter Gewalt, die bis heute mit Orten wie Hoyerswerda, Solingen oder Mölln in Verbindung gebracht wird. Sie fielen in eine Zeit zunehmender Fluchtmigration nach Deutschland, die tiefe gesellschaftliche Spannungen aufdeckte und im Dezember 1992 zu den umstrittenen Änderungen der Asylbestimmungen des Grundgesetzes führte.
Die Orte der rassistischen Gewalt suchen nach unterschiedlichen Wegen der Auseinandersetzung und des Gedenkens. Doch die Bemühungen, mit dieser Vergangenheit etwa in Form von großen Gedenkveranstaltungen umzugehen, werden häufig als unzureichend und zu wenig sensibel kritisiert. Auch würden die Stimmen der Opfer nicht ausreichend berücksichtigt.
Der Sammelband fragt nach dem Umgang mit dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen und mit der rassistischen Gewaltwelle der 1990er Jahre, den sogenannten Baseballschlägerjahren, insgesamt. Waren die ersten Jahre nach 1992 von Verdrängung, Vergessen und Abwehr geprägt, wurden die Ereignisse insbesondere in den letzten Jahren stärker aufgearbeitet. Doch es fehlt bis heute an einer systematischen Erforschung. Der Band vereint verschiedene Perspektiven aus politischer Öffentlichkeit, Wissenschaft und Kultur auf das Ereignis ebenso wie auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext und die Nachgeschichte. Er ist damit die erste Buchpublikation, die sich dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen in einem transdisziplinären und überregionalen Zugang widmet.
Die Vielfalt der Perspektiven ist gewollt, da sie nicht zu einer einzigen dominierenden Erzählung führen sollen. Anliegen des Bandes ist es, die unterschiedlichen Stimmen zu präsentieren und damit zur notwendigen Diskussion anzuregen, ohne diese abschließend zu klären.
Cornelia Sylla (Dr.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation der Universität Rostock mit einem Arbeitsschwerpunkt in der Forschung zu intersektionaler Benachteiligung und Inklusion. Ein besonderes Interesse gilt dabei den Teilhabebarrieren in Bildung und Politik für marginalisierte junge Menschen.